Troy-Anthony Baylis – First Queer and The Early Sunsets

Troy-Anthony Baylis

First Queer and The Early Sunsets

troy_2Foto: Geo Reisinger, Berlin

2016

Troy-Anthony Baylis ist ein Nachkomme des Volks der Jawoyn und gehört zu den australischen Künstlern, die zugleich und mit großer Selbstverständlichkeit über ein traditionelles Formenvokabular indigener Kultur, wie auch über das Erbe westlicher Kunstgeschichte frei verfügen. Identität ist ein für Baylis wichtiges Thema, dem er sich in seinen Werken mit großem kulturellen Sachverstand und beeindruckendem Ironiebewusstsein widmet.

Seine gestrickten Sonnenuntergänge lehnen sich motivisch an Andy Warhols Sunsets von 1972 an. Für das Marquette Hotel in Minneapolis, Minnesota schuf Warhol eine Serie von 472 Siebdrucken, von denen jeder eine originäre Einzelvariante des Grundmotivs eines relativ abstrakt gestalteten Sonnenuntergangs darstellte.1 Baylis bezieht sich auf dieses Motiv ohne es eindeutig zu übernehmen und gestaltet ebenfalls eine beträchtliche Zahl von Farbvarianten.

Diese Arbeit ist voller Anspielungen. In ihrer Streifenordnung lassen die Sunsets über die Warholsche Vorlage hinaus, auch das Motiv der Flagge der Aborigines anklingen. Das Stricken wiederum nimmt Bezug auf traditionelle Knüpf- und Webtechniken, thematisiert aber zugleich auch Aspekte männlicher und weiblicher Identität.

Die strenge, horizontale Streifenordnung der sunsets stellt sich aber vor allem in eine wichtige Tradition der Landschaftsmalerei der Moderne. In seinem Spätwerk findet der Schweizer Maler Ferdinand Hodler zu immer radikaleren Darstellungen von Landschaft. Früh ist bei ihm der Genfer See eine in strengen Horizontalen sich gradlinig über die Bildfläche ausdehnende Größe. In zunehmendem Maße passen sich andere Landschaftselemente, so wie Berge und Wolken dieser Verflachung und Ausdehnung an. Sie erreichen damit eine ungekannte Weite. Bei Hodler ist das Format nicht mehr die Begrenzung des Bildmotivs, sondern der scheinbar zufällige und nach rechts und links beliebig verschiebbare Ausschnitt aus der Landschaftsansicht, die ein unendliches Kontinuum ausbildet. Am Ende dieses Abstraktionsprozesses, in dem in nach eigenen Worten „alles in Linien und Raum aufgeht“, bestehen die Bilder aus einer Staffelung von Farbzonen in streifenähnlicher Abfolge, die in einigen Streifen letzte Zitate von traditioneller Landschaftsdarstellung zeigen.2 So zum Beispiel in seinem Genfer See mit Mont-Blanc aus dem Jahr 1918.3 Die dominante Farbe ist Blau, ergänzt um ein Schwefelgelb und Weiß. Das Weiß tritt als zentraler Farbstreifen in dem Bildabschnitt auf, in dem der See bezeichnet wird. Aber als feiner Saum begegnet er auch zwischen den übrigen, meist blauen Farbzonen.

Fotos: Boris von Brauchitsch

In Summer Plain von 1967 einem Gemälde des US-Amerikanischen Malers Keneth Noland, ist diese Landschaftsauffassung fortgesetzt und weiter entwickelt.4 Nolands „hard-edge“ Malerei organisiert ein Streifenbild homogener Farbstreifen, die nunmehr mit klar bezeichneten weißen Zwischenstreifen von einander abgesetzt sind. In Farbigkeit und der Abfolge unterschiedlicher Stärke der Farbstreifen entsteht eine Dynamik, welche die Assoziation von Abbildlichkeit im Sinne einer von großer Ruhe und hellem Licht bestimmten Sommerlandschaft zulässt.

Troy-Anthony Baylis radikalisiert das Motiv der Warholschen Vorlage und minimalisiert es zu einer strengen Abfolge von Farbstreifen. Die Stofflichkeit des Stricks verleiht den Arbeiten dabei eine skulpturale Qualität, die durch plastische Hervorhebungen eines kraus rechts strickens eine besondere Betonung erfährt. Die Wollrechtecke, in ihrem Auftritt als alternative Leinwände halten sich dabei, von zahlreichen Nadeln unterstützt, sehr nachgiebig und in ihren äußeren Konturen eher unbestimmt an der Wand. Eine wichtige Rolle spielen die losen Endfäden, die sowohl in den gestrickten „Bildern“ als auch bei den Skulpturen eine wichtige Rolle spielen. Wie Luftwurzeln verlassen sie den Bildkörper und tatsten sich in die Tiefe des Wandraumes vor. Sie veranckern die Darstellungen in ihrer Umgebung und betonen ein weiteres mal unmissverständlich ihre Materialität.

Sonnenuntergänge sind eines der großen kollektiven Sehnsuchtsmotive schlechthin. Unerechenbar die Zahl ihrer Abbildungen in ihren unendlichen Wiederholungen. Menschen photographieren mit nicht enden wollender Leidenschaft Sonnenuntergänge auf Reisen und dokumentieren eben das als den besonderer Moment, was überall auf der Welt sich jeden Tag genau so ereignet. Troy-Anthony Baylis Sunsets bergen das erwärmende Motiv in poppigem Wollstrick und einem klugen, mit viel Humor entwickelten interkulturellem Dialog.

Rafael von Uslar

1 Andy Warhol: Sunset, 1972, 632 einzelmotivischen Siebdrucke auf Papier, Factory Additions, New York, siehe: Frayda Feldmann und Jörg Schellmann: Andy Warhol Prints, München, New York, 1985, S. 49. Troy-Anthony Baylis hat noch einige Sonnenuntergänge zu stricken um mit seiner Vorlage anzahlmäßig aufzuschließen.

2 Ferdinand Hodler: Sehen Sie, wie da drüben alles in Linien und Raum aufgeht? Zitiert nach: Freundschaft und Kunstsinn, Solothurn, 1996, ohne Seitennummerierung.

3 Ferdinand Hodler: Genfersee mit Mont-Blanc, 1918, Privatsammlung, Schweiz.

4 Keneth Noland: Summer Plain, Gemälde, 1967, www.kenethnoland.com, works 1960-1970.


 

Introducing the Pink Sunsets of Troy-Anthony Baylis

troy_1Foto: Geo Reisinger, Berlin

Landscape painting has been a successful strategy for the global positioning of second settlement Australian visual artists by grafting the national styles of their European ancestors. This practice has become the default setting for Australian art and culture.

Australia’s Indigenous artists used acrylic paint and canvas in the 1930s to interpret the landscape. Since the 1970s, the art produced by these first generation Indigenous artists using post-modern materials is now having a much greater effect on the international stage.

Troy-Anthony Baylis is a descendant of the Jawoyn people, whose country includes the area where the Northern Territory town of Katherine is located. He is creating radical new works that mash second and first settlement visual culture to produce a new form of Australiana.

^BEDFA694E3CFE69C7A3C794B2841ACD9A5D224790D234F97A4^pimgpsh_fullsize_distrFoto: Boris von Brauchitsch

Pink Sunsets are knitted works created by a range of pink (with an occasional strand of blue or yellow) acrylic wools. After the knitting process the objects are arranged into a position and petrified through a petrochemical process of fibreglass resin. The works visually reference the internationally recognisable landscape paintings on canvas by many of the Indigenous peoples of central and northern Australia – think of the feathered look of some of Emily Kame Nngwarreye’s landscapes and body paintings or the massive output of paintings by the Petyarre women artists.

The practice of knitting as a contemporary medium employed by Aboriginal artists has a longer and less valued history than painting on canvas. There is evidence too that Aboriginal women engaged in the art of knitting during World War I – prior to the high art practice of painting. Like with paint and canvas, Indigenous artists used knitting with wool as a method to speak traditional culture, while also producing domestic items such as blankets and jumpers.

The artist is presenting his contemporary dreaming through knitting – a dreaming which reclaims his Indigeneity without disrupting traditions told by artists whose identities have not been displaced by the effects of Stolen Generations and the racist strategy of Australian second settlers to strip the first of their culture and spirituality.

– Troy-Anthony Baylis, 2006 (unpublished)
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